Was umfasst die Prüfung der Eigenschaften und der Funktionsweise einer Sache?

BGH, Urteil vom 12.10.2016, Az. VIII ZR 55/15 (AG Berlin-Lichtenberg, LG Berlin)

Wer als Verbraucher im Fernabsatz etwas kauft, hat ein Widerrufsrecht.

Macht der Käufer von seinem Widerrufsrecht Gebrauch, hat er für den Wertverlust der Ware Wertersatz zu leisten, wenn (1) der Wertverlust auf einen Umgang mit der Ware zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise der Ware nicht notwendig war und (2) der Verkäufer den Käufer darüber informiert hat, dass dieser bei einer übermäßigen Nutzung der Ware die entstandene Wertminderung ersetzen muss.

In seiner nachfolgenden Entscheidung präzisiert der Bundesgerichtshof, wann eine bloße Prüfung der Ware in eine übermäßige Nutzung umschlägt:

Sachverhalt

Die Beklagte betreibt einen Online-Handel für Autoteile.

Der Kläger kaufte bei der Beklagten über deren Internetseite einen Katalysator nebst Montagesatz zu einem Gesamtkaufpreis von € 386,58.

Nach der Lieferung des Katalysators ließ der Kläger diesen von einer Fachwerkstatt in seinen Pkw einbauen. Bei einer anschließenden Probefahrt stellte der Kläger fest, dass sein Fahrzeug nicht mehr die vorherige Leistung erbrachte. Er widerrief daher seine Bestellung und sandte den Katalysator, der deutliche Gebrauchs- und Einbauspuren aufwies, an die Beklagte zurück.

Die Beklagte weigerte sich, den (vollen) Kaufpreis zurückzuzahlen, da der Katalysator durch die Ingebrauchnahme eine Wertminderung erfahren habe. Sie rechnete daher mit einem hieraus resultierenden Wertersatzanspruch auf.

Prüfung wie im Ladengeschäft

Im Ergebnis bejaht der Bundesgerichtshof in seiner vorliegenden Revisionsentscheidung einen Wertersatzanspruch der Beklagten.

Der Bundesgerichtshof stellt zunächst klar, dass der Verbraucher bei einem Vertragsschluss im Fernabsatz grundsätzlich die Gelegenheit haben soll, die erworbene Ware einer Prüfung in dem Umfang zu unterziehen, wie dies auch bei einem Kauf im traditionellen Handel (Ladengeschäft) möglich ist.

Das Widerrufsrecht des Verbrauchers im Fernabsatz diene der Kompensation von Gefahren aufgrund der fehlenden physischen Begegnung von Anbieter und Verbraucher und der in der Regel fehlenden Möglichkeit, die Ware oder Dienstleistung vor Vertragsschluss in Augenschein zu nehmen. Der Verbraucher solle mit der Ware daher grundsätzlich (wertersatzfrei) so umgehen und sie so ausprobieren dürfen, wie er dies auch in einem Ladengeschäft hätte tun dürfen.

Einbau des Katalysators geht über Prüfung wie im Ladengeschäft hinaus

Gemessen an diesen Maßstäben kommt der Bundesgerichtshof zu dem Schluss, dass der Einbau des Katalysators und die kurze Probefahrt über die bloße Prüfung der Eigenschaften und der Funktionsweise der Ware hinausgingen. Er führt hierzu aus:

„Eine Ware, die bestimmungsgemäß in einen anderen Gegenstand eingebaut werden soll, ist für den Käufer im Ladengeschäft regelmäßig nicht auf ihre Funktion im Rahmen der Gesamtsache prüffähig.“

Die Maßnahmen des Klägers überschritten also die Kompensation der im Fernabsatz entgangenen Erkenntnismöglichkeiten in einem Ladengeschäft.

Vorliegend hat der Bundesgerichtshof die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, da noch zu klären ist, ob die Beklagte dem Kläger auch die erforderlichen Hinweise erteilt hatte.

Zusammenfassung       

Die zunehmende Verbreitung des Online-Handels führt zwangsläufig zu neuen (Rechts-)Problemen. Hier bietet die Entscheidung des Bundesgerichtshofs eine Orientierungshilfe.

Wie jedoch das als Vergleichsmaßstab angeführte Ladengeschäft nach Ansicht des Bundesgerichtshofes im Detail aussieht, bleibt offen. Denn auch der stationäre Handel zeichnet sich durch eine große Vielfalt und damit einhergehende unterschiedliche Informationsmöglichkeiten der Kunden aus.