OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 16.12.2011, Az. 10 U 240/09 (LG Hanau)

Mit dem Pferd durch Wald und Wiesen zu reiten, gehört zu den ganz besonderen Naturerlebnissen. Um andere Erholungssuchende oder Verkehrsteilnehmer nicht zu beeinträchtigen, gibt es – natürlich – auch hierfür Regeln.

Eine dieser Regeln besagt, dass mehrere Reiter einen geschlossenen Verband bilden können. Ein solcher geschlossener Verband im Sinne des § 27 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) gilt dabei als einheitliches Ganzes, d.h. als ein einziger Verkehrsteilnehmer. Es kann jedoch Gründe geben, diesen Verband wieder aufzulösen, wie das nachfolgende Urteil des OLG Frankfurt a.M. zeigt.

Sachverhalt

Die Klägerin war im August 2006 gegen 21.20 Uhr als letzte Reiterin in einer Gruppe von insgesamt neun Reitern auf einem Feldweg in Richtung Stall unterwegs. Als die Gruppe in Form eines geschlossenen Verbands eine Landstraße von rechts nach links überquerte, kam es in einer Rechtskurve der Landstraße zu einer Kollision zwischen dem Fahrzeug des Beklagten und dem Pferd der Klägerin.

Die Klägerin erlitt durch den Unfall Verletzungen am rechten Handgelenk und dem linken Knie und macht u.a. Schmerzensgeldansprüche geltend.

Reiten im Verband kann situationsbedingt zu Mitverschulden des Reiters führen

Das Gericht stellt zunächst fest, dass der Beklagte, der nach seiner eigenen Einlassung die Reitergruppe nicht bemerkt hatte, erheblich unaufmerksam war. Damit verstieß er gegen § 1 Abs. 2 StVO. Auch hatte der Beklagte nicht das Sichtfahrgebot des § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO beachtet. Ansonsten hätte er die auf der Straße befindlichen Reiter sehen können und damit rechnen müssen, dass noch weitere Pferde nachfolgen.

Allerdings muss sich die Klägerin nach Ansicht des Gerichts ihr eigenes Mitverschulden zurechnen lassen. Dieses Mitverschulden bewertet das Gericht mit 25%. Die Klägerin durfte nach Auffassung des Gerichts im Hinblick auf die Dämmerung nämlich nicht darauf vertrauen, von dem Beklagten gesehen zu werden. Nachdem bereits die vorausreitenden Mitglieder der Gruppe durch Winken auf sich aufmerksam gemacht hatten, ohne dass der Beklagte darauf reagiert hatte, hätte die Klägerin „in ihrem eigenen Interesse trotz des von der Verbandsführerin gegebenen Kommandos zum Überqueren ihr Pferd zum Stehen bringen und das Fahrzeug passieren lassen müssen“.

Zusammenfassung

Es gilt der alte Grundsatz: Keine Regel ohne Ausnahme. Wurde während eines Ausritts zulässigerweise ein geschlossener Verband gebildet, so kann die einzelnen Mitglieder der Gruppe im Falle eines Unfalles ein Mitverschulden treffen, falls sie diesen „in ihrem eigenen Interesse“ nicht rechtzeitig aufgelöst haben.

Leider führt das Gericht nicht näher aus, wie dieses Interesse im Einzelnen aussieht. Wäre hierbei beispielsweise auch zu berücksichtigen, ob ein Pferd einen starken Herdentrieb aufweist, wie viele Pferde sich noch hinter ihm befinden oder ob es bereits wieder Richtung Stall geht? Diese Faktoren könnten ein Anhalten aus Sicht des Reiters gefährlicher erscheinen lassen als weiterzureiten. Es bleibt daher zu hoffen, dass die Rechtsprechung diese Unsicherheit beseitigt und das erforderliche Interesse zukünftig noch weiter konkretisiert.